„Heimat ist die Stadt, in der man seine Geburt durchgeführt hat“

„Alles, was mit Heimat zu tun hat, kommt freundlich daher,“ so Professor Dr. Hermann Bausinger in seinem gut besuchten Vortrag, zu dem der Schwäbische Albverein und der Arbeitskreis Stadtgeschichte kürzlich in die Festkelter eingeladen hatten. Eine Unmenge an Büchern sei in den vergangenen Jahrzehnten zum Thema Heimat erschienen. Ein Grund dafür könne sein, dass sich die Frage stelle, ob Heimat nicht doch im Verschwinden, ob Heimat nicht tatsächlich ein Auslaufmodell sei. Kritische Analysen, nicht irgendwelche Sonntagsreden beschäftigen sich mit dieser Frage.

„Heimat ist kein unbekanntes Gelände.“ So sei für den Metzinger natürlich vornehmlich Metzingen die Heimat. – Doch nicht nur die verschiedenen Lokalitäten haben eine unterschiedliche Auffassung von Heimat; was das Thema so schwierig mache, sei die Tatsache, dass jeder seine individuelle Vorstellung von Heimat habe.Ein fünfzehnjähriger Jugendlicher hat kürzlich auf die Frage, was ihm Heimat bedeute, geantwortet: „Heimat ist die Stadt, die man nie vergisst, denn man hat dort seine Geburt durchgeführt.“ Eine recht bürokratische Äußerung, die allein schon zeige, wie kompliziert das Thema Heimat für viele ist. Hermann Bausinger erkennt auch in den Äußerungen meist älterer Leute wie zum Beispiel „es ist halt nemme des“ eine Wertung ihres Verständnisses von Heimat, ohne dass hier der Begriff Heimat selbst verwendet wird. Doch allein schon in dem melancholischen Grundton verberge sich ein individuelles Grundverständnis von Heimat.

Doch ist Heimat für Bausinger nicht nur Vergangenes, obgleich sie immer wieder als Verlorenes behandelt werde, sie sei auch etwas Gegenwärtiges. Das Hauptstichwort heute heiße allerdings nicht mehr Heimat oder Lokalität, sondern Globalisierung. Wenn man von Globalisierung rede, brauche man sich nicht zu entschuldigen, bei Heimat schon eher. Der zweite Grund für den veränderten Zugang zum Empfinden von Heimat sei die Tatsache, dass sich eben sehr viel in unseren heimatlichen Gefilden verändert hat, dass Heimat von außen und von innen her „kolonialisiert“ wurde. In seinem Buch »Das Verschwinden der Heimat« hat Martin Hecht vor einigen Jahren darauf hingewiesen, dass „Heimat in den Würgegriff von fremden Mächten gefallen“ sei. Er sprach von Zivilisationswüste, von Kulturbrei und resümierte: Die Heimat zu verlieren sei die Plage des globalen Zeitalters und keineswegs mehr ein individuelles Schicksal.

Eine dritte Perspektive, die den Heimatbegriff etwas problematisch macht, beschrieb der international renommierte Volkskundler und ehemalige Direktor des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen. So sehen heute viele schon den Namen „Heimat“ als problematisch an, was auf den Missbrauch des Begriffes während der nationalsozialistischen Zeit zurückzuführen sei, aber auch auf seinen inflatorischen Gebrauch verbunden mit einer kommerziellen Ausbeutung in heutiger Zeit: Heimattage, Heimatfilm, heimatliches Fernsehen, Heimatvereine, Heimatgeschichte, Heimatdichter, Heimatsprache, Heimatredner, Heimatweine, heimatliches Essen usw. quittieren so manche mit dem nicht gerade positiv gemeinten Stoßseufzer: „Oh Heimatland!“

Als eine Reaktion darauf kam immer wieder einmal der Vorschlag auf, das Wort Heimat zu ersetzen durch zum Beispiel den Begriff Identität. Doch Karl Kraus hielt dem entgegen, es sei besser mit alten Worten Neues als mit neuen Worten Altes zu sagen. Und Bausinger betonte, man müsse jedoch auch Neues sagen, wenn von Heimat die Rede ist. Der Blick auf die Heimat habe sich im Lauf der Jahrhunderte verändert, aber auch die Heimat selbst. In einem kurzen historischen Durchgang typisierte Hermann Bausinger die Veränderungen der begrifflichen Inhaltskomponenten von Heimat im Wandel der Zeit. Heimat sei lange Zeit ein relativ nüchterner Begriff gewesen. Einst war Heimat, so der Redner, die gesamte Lebenswelt, in der die Menschen existierten. Sie umfasste das Haus, den Hof, die Wohnung, den gesamten Besitz, sie bezog sich auf das, was einem gehörte oder zu dem man gehörte.

Bausinger trug in oft humorvoller Weise und in eleganter Rhetorik den gesamten Wandel des Begriffs Heimat vor. Langeweile kam da wirklich nicht auf, im Gegenteil, mit Spannung folgten die vielen Zuhörer seinen Ausführungen. „Es gibt Worte, die durch die Jahrhunderte von Mund zu Mund gehen, ohne dass ihr begrifflicher Inhalt je klar und scharf umrissen vor das innere Auge tritt. Die Erfahrung der Generationen, unerschöpfliches Leben, unzählige Geschehnisse verbergen sich in ihnen und Wunder nimmt nur, dass die Wortgefäße, die solche Fülle zu tragen haben, immer ihre alte Gleichung beibehalten, fortbestehen und sich wieder mit neuem Inhalt beladen lassen.“ Die Gültigkeit dieses Zitat von Siegfried Krakauer belegte Hermann Bausinger bis in unsere Zeit mit eindrucksvollen, oft kritischen und überzeugenden Beispielen. Dabei ging er auch auf die historischen Veränderungen im Heimatraum Metzingen ein, wobei er die Entwicklung der Outlet-City nicht aussparte. Die Gefühls- und Tiefendimension des facettenreichen Begriffs „Heimat“ zog bei diesem Vortrag viele Zuhörer in ihren Bann. Schmunzelnd entließ Hermann Bausinger seine Zuhörer mit einem Zitat von Harald Hurst: „Heimat isch dort, wo ai’m d’Leut so gut verstehn, dass mer manchmol scho beim Schwätze merkt, ‚s wär besser g’wese, mer hätt’s Maul g’halte.“