Im Münsterland, dem Zentrum Westfalens

Für die meisten Exkursionsteilnehmer war das diesjährige Zielgebiet buchstäblich ein weißer Fleck auf der Landkarte. Wohl hatte man, geschichtsbewusst als Mitglied des Metzinger Geschichtsvereins, schon vom dreißigjährigen Krieg und seiner Beendigung durch den in Münster und Osnabrück abgeschlossenen westfälischen Frieden gelesen und gehört. Und dass es heuer 400 Jahre her sind, seit eine der längsten und schwersten Katastrophen Deutschlands begonnen hat, war für aufmerksame historisch Interessierte ein weiterer Anlass, sich der Einladung des Metzinger AKS zu einer Fahrt nach Westfalen anzuschließen. Mit dem Wetter hatte der AKS unglaubliches Glück: Angenehm warm, oft sonnig und bis auf wenige Tropfen niederschlagsfrei zeigte sich das Münsterland von seiner besten Seite.

Nicht nur Münster als städtischer und kirchlich-katholischer Mittelpunkt Westfalens mit seiner großen Universität und zahlreichen weiteren Hochschulen, nicht nur die alte Bischofsstadt Osnabrück als das protestantische Pendant standen im Fokus der Besuche, sondern ebenso das flache, scheinbar unendlich große landwirtschaftlich genutzte Land, das wegen des Anerbenrechts den Bauern unteilbare große Acker- und Wiesenflächen ermöglicht und erstaunlicherweise auch immer wieder durch große Wäldereien und kleinere Baumbestände unterbrochen wird. Die schwäbischen Häuslesbauer konnten ansonsten nur staunen über den sehr hohen Anteil an Einfamilienhäusern im gesamten Münsterland, auch in den größeren Städten einschließlich Münster. Und was die schwäbische Kehrwoche angeht, konnte man den Eindruck gewinnen, dass im Münsterland nicht der Besen regiert, sondern der Kehrwisch.

So waren die Anfahrten in die täglich wechselnden Zielgebiete ungeachtet der meist fehlenden bei uns daheim so reizvollen Berg- und Tallandschaften nie langweilig. Und die Ziele selbst waren so abwechslungsreich, landschaftlich, städtebaulich und historisch so interessant, dass nie auch nur eine Spur von Langeweile aufkommen konnte. Das begann schon mit dem Besuch des Schlosses Raesfeld, das der als westfälischer Wallenstein bezeichnete Reichsgraf Alexander II von Vehlen aus Mitteln seiner im dreißigjährigen Kriegs erstrittenen exorbitanten Kriegsgewinne zu einem prächtigen Renaissanceschloss mit angeschlossenem Tierpark hatte umbauen lassen.

Schloss Raesfeld

Nach zeitweiligem Zerfall und teilweisem Abbruch glänzt heute die mächtige Schlossanlage in stolzer Pracht, umgeben von malerischen Wasserflächen und romantischem Baumbestand. Kein Wunder, dass sie zahlreiche Gäste anzieht, so auch die Metzinger Reisegruppe am Anreisetag ins Westfälische. Dass dabei ein Cafébesuch organisiert und dann genügend Gelegenheit zu Spaziergängen rund um den Schlosspark und in den Tierpark ermöglicht wurde, brachte an dem strahlend schönen Pfingstmontag allen Exkursionsteilnehmern eine willkommene Entspannung von der langen Omnibusfahrt.

Parkhotel Schloss Hohenfeld

Exkursionsleiter Dr. Karl Weitnauer hatte nach langem Suchen mit dem Parkhotel Schloss Hohenfeld ein gutes Standquartier gefunden, von dem aus es am Tag nach der Anreise ins nahe gelegene Münster ging. Vormittags und nachmittags sorgten gute Stadtführer für viele Informationen über die Fahrradstadt (man spricht von 600.000 Fahrrädern bei gut 300.000 Einwohnern), über die wechselvolle Geschichte von Stadt und Fürstbistum Münster, das im Jahr 799 wie die Nachbarbistümer Paderborn, Minden und Osnabrück von Papst Leo III in Anwesenheit von Kaiser Karl dem Großen im Rahmen der Sachsenunterwerfung und -missionierung gegründet worden war.

Münster: Lambertikirche

Wenn man zu Fuß in einer Stadt unterwegs ist, kann man viel sehen.
So waren die spätgotische Lambertikirche als Hallenkirche mit ihrem neugotischen Turm und den dort angebrachten Körben für die Leichen der im Jahr 1536 hingerichteten Anführer der Täuferherrschaft, dann der im Westwerk noch aus der romanischen Bauphase stammende und im Langhaus als frühgotische Basilika erbaute St.-Paulus-Dom mit seiner astronomischen Uhr und zahlreichen Ausstattungsgegenständen, vor allem auch vielen Epitaphien in den Chorkapellen wichtige Besichtigungsziele. Dazwischen kam ein Besuch des Friedenssaals im historischen Rathaus, wo der Vertreter des Kaisers mit den Gesandten der katholischen Kriegsparteien den Friedensvertrag vom 24.Oktober 1648 abgeschlossen hatte.

Erbdrostehof

Nach ausgiebiger Mittagspause ging es in der Fortsetzung der Stadtführung zum eindrucksvollen und genial konstruierten Adelspalais des vom barocken Baumeister Johann Conrad Schlaun geschaffenen Erbdrostehofs, in die ebenfalls von Schlaun erbaute Clemenskirche und zum Krameramtshaus aus dem Jahr 1589, in dem während der Friedensverhandlungen bis 1648 die niederländischen Gesandten untergebracht waren. Besonders bemerkenswert war für die Besucher aus dem Schwäbischen, dass die münsteraner Stadtplaner nach den Zerstörungen des zweiten Weltkriegs im Gegensatz zu Stuttgart nicht eine autogerechte Stadt mit breiten Innenstadtstraßen schufen, sondern die kleinräumige Straßengestaltung mit dem Wiederaufbau vieler Häuserzeilen mit den Staffelgiebeln nach dem alten Muster beibehielten. Bilder wie vom extrem hässlichen Stuttgarter Marktplatz finden sich in Münster keine. Besonders der weitläufige Prinzipalmarkt mit seinen Arkaden zog die Exkursionsteilnehmer in seinen Bann.

Münster: Prinzipalmarkt

Vier Stunden Gehen und Stehen auf grobem Steinpflaster gehen in die Knochen und machen müde. Die anschließende Freizeit nutzten daher viele zu Cafébesuchen, während Unermüdliche noch Besuche in den vielen interessanten Museen wie beispielsweise dem „Kunstmuseum Pablo Picasso“ im Druffelschen Hof, das Stadtmuseum am Salzhof oder das neue Landesmuseum absolvierten.

Am dritten Tag ging es zuerst rund 30 Kilometer weit nach Westen in den Merfelder Bruch bei Dülmen, wo auf einer eingezäunten Fläche von 3,5 Quadratkilometern Wiesen und Wald eine Herde von rund 400 kleinwüchsigen Pferden (Stuten mit ihren Fohlen) wild leben. Eine beim Herzog von Croy als Eigentümer angestellte und überaus kompetente Försterin stellte mitten im Gelände der Metzinger Reisegruppe diese große Herde vor, von der alljährlich am letzten Maisamstag die Hengste in einer spektakulären Veranstaltung getrennt werden.

Wildpferde im Merfelder Bruch

Römermuseum bei Haltern am See

Mit dem Römermuseum bei Haltern am See stand dann die nächste Führung an. Hier hatten die Römer unter Kaiser Augustus ein großes Kastell und Lager direkt nördlich der Lippe erbaut und rund zwanzig Jahre lang als Stützpunkt für die geplante Eroberung Germaniens zwischen Rhein und Elbe unterhalten, bevor sie es nach der im Jahr 9 n. Chr. verlorenen Varusschlacht (früher fälschlicherweise als Schlacht im Teutoburger Wald bezeichnet) aufgeben mussten.

Wasserburg Vischering

Ganz in der Nähe von Lüdinghausen steht die malerisch gelegene Wasserburg Vischering der münsteraner Erbdrosten (Droste war ursprünglich kein Eigenname, sondern die niederdeutsche Form des hochdeutschen Truchsessen, also eines hohen Verwaltungsbeamten). Die Wasserburg im Stil der Renaissance steht heute noch im Eigentum der Adelsfamilie Droste zu Vischering, ist aber an den Landkreis Coesfeld verpachtet, der sie als Kulturzentrum nutzt.

Rüschhaus

Während Vischering nur von außen besichtigt wurde, ging es anschließend zu einer Führung durch das vom bereits genannten genialen Architekten Johann Conrad Schlaun für sich und seine Familie erbauten Haus Rüschhaus, in dem Annette von Droste-Hülshoff fast zwanzig Jahre lang gelebt hatte, und in dem Möblierung und sonstige Ausstattung heute noch an den Alltag der berühmten Dichterin erinnern. Das Haus mit seinem schönen Garten ist wie die meisten Adelssitze im Münsterland von einer Gräfte (Wassergraben) umgeben, ebenso wie die Burg Hülshoff als Stammhaus der Familie Droste zu Hülshoff und Geburtsort der Annette.

AKS auf Reisen

Burg Hülshoff

Diese aus der Renaissancezeit erhaltene Anlage gilt als für das Münsterland besonders typische Wasserburg und bietet schon mit ihrer gepflegten Parkanlage sowie den von Entenfamilien und Kanadagänsen bevölkerten Wiesen entlang der Gräfte, mit den üppigen in voller Blütenpracht stehenden Rhododendronbüschen und den aufblühenden Hortensien ein überaus romantische Bild. Übrigens hat Jutta Freifrau von Droste zu Hülshoff als letzte Eigentümerin aus der Familie vor sechs Jahren Haus Rüschhaus und Burg Hülshoff in die Annette zu Droste-Hülshoff-Stiftung eingebracht, die für die Nutzung beider Anwesen als Museum verantwortlich zeichnet.

Burgsteinfurt

Eine halbe Autostunde nordwestlich von Münster liegt Burgsteinfurt, eine seit dem Ende des 16.Jahrhunderts durch die Grafen von Bentheim-Steinfurt evangelisch- reformierte Stadt mit Wasserschloss und ehemaliger Universität. Damit ist die Kleinstadt mitten im katholischen Münsterland etwas besonderes, was sich bei der Besichtigung mit Stadtführung am vierten Exkursionstag eindrücklich zeigte. Besonders imponierte außer dem mächtigen Bau der alten Hochschule die „Große Kirche“ mit Tonnengewölbe und Lettner.

Burgsteinfurt: Große Kirche

Bagno

Und dann gibt es den „Bagno“, eine im 18. Jahrhundert durch die Grafen geschaffene und inzwischen teilweise wieder hergestellte große Parkanlage mit der ersten freistehenden Konzertgalerie Europas, die mit einer außergewöhnlich guten Akustik aufwartet, was die Metzinger singend bestätigen konnten. Der ab 1780 mit zahlreichen Bauwerken, Wasserspielen, Skulpturen und Elementen aus Fernost und dem Orient ausgestattete Park galt als die bedeutendste Anlage Westfalens und lockte bis zur Mediatisierung der Grafschaft viele Besucher an. Inzwischen ist der Park wieder eine vielbesuchte Freizeiteinrichtung; außerdem hat sich ein Golfclub mitten im Park mit seinen weiten Rasenflächen etabliert.

Adelsdamenstift Langenhorst

Der Nachmittag führte über das im 12. Jahrhundert erbaute ehemalige Kloster und spätere Adelsdamenstift Langenhorst und das idyllisch in einer umgräfteten Gartenanlage liegende Wasserburg Welbergen zur Burg Bentheim, dem Sitz der Grafen von Bentheim-Steinfurt. Hier bilden aus der Ebene aufragende Sandsteinfelsen die Basis für die großzügige Höhenburg, die als eine der größten und schönsten in Nordwestdeutschland gilt. Der Ausblick von der Burg und dem Pulverturm inmitten der Anlage geht weit hinaus ins platte Land und vor allem auch in die nahegelegenen Niederlande.

Burg Bentheim

Einen Tagesritt von Münster entfernt verhandelten in Osnabrück die Gesandten Schwedens und der deutschen evangelischen Kriegsteilnehmer mit den Vertretern des Kaisers über die Friedensbedingungen zur Beendigung des dreißigjährigen Kriegs. Heute schmückt sich Osnabrück in Erinnerung an diesen Friedensschluss vom Oktober 1648 mit dem Titel „Friedensstadt“. Im Friedenssaal des Rathauses sind die Portraits der Gesandten zu sehen, darunter auch des württembergischen Vertreters Johann Konrad von Varnbüler, der mit schwedischer Unterstützung die Wiederherstellung des Herzogtums Württemberg in den Vorkriegsgrenzen erreicht hatte.

Rathaus Osnabrück

Rathaus Osnabrück, Friedenssaal

Nicht nur in den Friedenssaal wurden die Exkursionsteilnehmer geführt. Vielmehr brachte eine hochinteressante Führung die Sicht in und auf viele Straßen und Gassen der alten Bischofsstadt, in der mit der evangelischen gotischen Marktkirche der Bürgerschaft und dem katholischen bischöflichen Dom St. Peter aus der Romanik zwei Baudenkmäler nach Beschädigungen und Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg weitgehend originalgetreu wieder aufgebaut worden waren. Besonders an das riesige romanische Triumphkreuz (Südtirol-Kenner erinnern sich an das romanische Kreuz in der Stiftskirche von Innichen) und das gleichfalls aus dem 12. Jahrhundert stammende bronzene Taufbecken im Dom wurden die Reiseteilnehmer geführt. In der Marktkirche erlebte die Reisegruppe noch mit eine Orgelführung mit kleinem Konzert (J. S. Bach und F. Mendelssohn Bartholdy). Besonders beeindruckt waren vor allem die Reiseteilnehmerinnen, dass wie schon in Münster auch in Osnabrück zahlreiche kleine gut sortierte Läden ein reichhaltiges Angebot an schicker Kleidung, Schuhen, an hochwertigem Geschirr, an schöner Wohnungsausstattung u. s. w. vorhalten. Da hätte man Zeit für einen Einkaufsbummel haben müssen…

Museum Kalkriese

Aus der kleinen Großstadt Osnabrück ging es dann noch zum Museum Kalkriese am heute nahezu fest nachgewiesenen Standort der von drei römischen Legionen verlorenen Varusschlacht. Nach einer Führung durch dieses Museum folgte die Fahrt nach Tecklenburg, der früheren Hauptstadt der gleichnamigen Grafschaft, die mitten zwischen Münster und Osnabrück nicht nur Jahrhunderte lang ein wegen ihrer günstigen Passlage im Teutoburger Wald ein von beiden Städten gefürchteter und verhasster Zollstandort war. Außerdem hatten die Grafen von Tecklenburg schon bald die Reformation eingeführt, so dass ein großer Teil des Tecklenburger Landes auch religiös sich vom Fürstbistum Münster unterschied.

Tecklenburg

Tecklenburg

Besondere Bedeutung erlangte Tecklenburg in der Zeit des beispielsweise in Osnabrück tobenden Hexenwahns. Das reformierte Grafenhaus unterstützte den aus Nordbrabant (heutige Niederlande) stammenden Arzt Johann Weyer, der als erster eine wissenschaftliche Abhandlung gegen die Hexenverfolgung verfasst und veröffentlicht hatte. Unter dem Einfluss von Hexentheoretikern war diese Abhandlung auf den Index der Kurie gesetzt worden. In Tecklenburg gab es wegen Weyer nie Hexenverfolgungen.

Ein geführter Spaziergang durch die malerische Berg- und Fachwerkstadt offenbarte, dass es auch Im Münsterland steil zugehen kann. So konnte sogar eine mit Reben bestockte Fläche an einem Südhang bewundert werden. Vor allem aber imponierten die teilweise noch erhaltenen Festungsanlagen der ehemaligen Burg über der gleichnamigen Stadt.

Barockschloss Nordkirchen

Die Rückreise am Samstag nach Pfingsten brachte mit dem Besuch des selbstverständlich rund herum von Gräften umgebenen Barockschlosses Nordkirchen einen letzten Höhepunkt. Diese Residenz hatten Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg von Münster und seine Familienangehörigen im Lauf von dreißig Jahren für seine Familie erbauen lassen; zusammen mit den weitläufigen Parkanlagen trägt das ganze Ensemble den Beinamen „westfälisches Versailles“. Verantwortlich für Planung und Bau war zuerst Gottfried Laurenz Pictorius, seit 1723 Johann Conrad Schlaun. Nach zahlreichen Eigentümerwechseln im Erbgang oder durch Verkauf gehört das Schloss heute dem Land Nordrhein-Westfalen, das dort seine Fachhochschule für Finanzen untergebracht hat und in den letzten Jahren die Venusinsel als französisch-barocken Garten mit zahlreichen Skulpturen aus der griechisch-römischen Mythologie direkt nördlich des Hauptgebäudes grundlegend erneuern ließ.

Auf der problemlosen Rückfahrt gab Rudolf Renz als Vorsitzender des AKS bekannt, dass Dr. Karl Weitnauer nach achtjähriger Exkursionsleitung dieses Amt jetzt abgibt, und dankte unter großem Beifall Dr. Weitnauer. Zur Nachfolge hat sich Dr. Fritz Kemmler bereit erklärt, mit dem es im kommenden Jahr nach Südtirol gehen soll.

Fotoaufnahmen: Dieter & Hildegard Feucht